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26.04.2016

Interview mit Hannes Ruess

Das Interview mit Hannes Ruess führte Tobias Höllwarth (EuroCloud Austria) im März 2016 in Wien.

„Wenn die Cloud als die bessere Lösung für eine Prozessabbildung erscheint, wird sie auch als erste Lösung untersucht“

In vielen großen und international agierenden Unternehmen mit komplexen Produktionsketten werden etliche IT-Ressourcen zunehmend ausgelagert, wobei Cloud Computing immer öfter zum Einsatz kommt. Denn: Mithilfe ausgesuchter und geprüfter Cloud Services werden oft Synergiepotenziale besser genutzt, die Komplexität der internen IT-Landschaft reduziert und mehr Flexibilität sowie Sicherheit bei diversen Services und Kommunikationswegen erreicht. Im Gespräch mit EuroCloud zeigt Hannes Ruess, CIO des Faserherstellers Lenzing AG, auf, in welchen Bereichen der Weltmarktführer bereits Cloud-Lösungen einsetzt, wie diese geprüft werden, welche Erfahrungen bereits gesammelt und welche Vorteile und Kosteneinsparungen dabei erreicht werden konnten.

Welche Rolle spielt die IT in der Industrie und speziell in Ihrem Unternehmen?

Böse Zungen im Haus sagen, wir sind ein IT-Betrieb mit angeschlossener Faserproduktion. Jedenfalls hat die IT in den vergangenen fünf Jahren einen Wandel in der Wahrnehmung sowie in der Bedeutung vollzogen. Waren wir früher eher die Technologie-Bereitsteller, so sind wir heute die Prozessexperten. Der Schwerpunkt liegt dabei im Design von Wirtschaftsprozessen und in deren Abbildung, um Compliance sicherzustellen. Aber im Wesentlichen sieht man IT nun als einen Marktvorteil. IT und Prozessmanagement gehören inzwischen zusammen, die Grenzen verschmelzen zunehmend und wir haben das Verständnis im Unternehmen: Business ist IT und IT ist Business.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Einerseits durch konsequentes Arbeiten von der IT-Seite daran, dieses Selbstverständnis herzustellen und das bis dahin unterschätzte Business Alignement ganz nach vorne zu reihen. Denn das eigentliche Thema war und ist die optimale Prozessausrichtung. Das hat uns, die IT, zu einem essenziellen Ansprechpartner fürs Business gemacht. Mit der Digitalisierung von Prozessen und technischen Innovationen konnte einiges verbessert werden. Hinzu kam als zweite Kraft das Verständnis in der Unternehmensleitung für diese Entwicklung und die damit verbundenen erforderlichen Investments und Maßnahmen in diesem Bereich.
 
In welcher Form beschäftigen Sie sich mit Cloud Computing?
Wir nutzen schon seit mehreren Jahren Cloud-Lösungen z. B. zur Erweiterung der Effizienz in einigen Warenwirtschaftsprozessen wie etwa der Instandhaltung, wo wir Arbeitsaufträge aus SAP über eine Cloud-Lösung an die Mitarbeiter verteilen und die Erledigung inklusive Zeitaufwand vom mobilen Endgerät wieder zurückspielen. Die Cloud wurde in diesem speziellen Fall aufgrund der extrem schnellen Einführbarkeit in allen Zeitzonen gewählt.
 
Können Sie uns dafür ein praktisches Beispiel aus Ihrem Businessalltag geben?
Ein gutes Beispiel ist unsere Frachtabwicklung, die sehr intensiv ist. 60 Prozent unseres Geschäfts sind in Asien, wobei die Fasern, die auf dem asiatischen Markt verarbeitet werden, vornehmlich in Europa produziert werden. Da wir Hochvolumen-Transportmittel benötigen, sind Verfügbarkeit und Tragbarkeit der Container für uns ein Dauerthema und hinsichtlich der Suche und Abstimmung nach bzw. von Frachtmitteln ein manueller und höchst aufwändiger Prozess. Also haben wir uns aktiv mit einem technischen Unternehmen verbunden, das in diesem Bereich eine weltweit verfügbare und schnell einsetzbare Lösung über die Cloud anbietet. Das Ergebnis ist, dass wir heute diesen ganzen Prozess über eine geschlossene Frachtbörse erledigen, der international rund 40.000 Frächter angehören. Wenn nun, wann auch immer, ein Frachtauftrag zu vergeben ist, wird dieser direkt aus dem Prozess per Mausklick über das Portal zugeordnet, also nur noch über einen Ansprechpartner. Die Frächter „kaufen“ den Frachtauftrag entweder zu den mit uns vereinbarten Standardpreisen oder geben ein individuelles Preisangebot ab. Die weitere Abwicklung ist auf beiden Seiten vollkommen digitalisiert. Hinzu kommt, dass dieses cloudbasierte Portal für uns im Rahmen einer großen Supply Chain neben der logistischen Abwicklung auch den mühsamen Rechnungsprüfungsprozess sowie die Kosten- und Ergebnisrechnung deutlich vereinfacht – mit dem Effekt, dass wir heute nicht nur einen besseren Überblick über weltweit verfügbare Lademittel haben, sondern intern auch kein manueller Prozess mehr notwendig ist.
 
Warum denken Sie, dass Cloud Computing für Lenzing AG auch künftig besonders wichtig sein wird?
Viele Services und Lösungen aus der Cloud sind günstiger, ressourcensparender in den Einführungsprozessen, variabel und skalierbar in den Kosten und daher auch leichter planbar. Und es gibt immer mehr innovative Anbieter in Form von hochspezialisierten Klein- und Mittelunternehmen, wie das soeben skizzierte Beispiel zeigt.
 
Haben Sie für Ihr Unternehmen auch eine spezielle Cloud-Strategie, die den Weg in den kommenden drei Jahren beschreibt?
Eine explizite Cloud-Strategie haben wir nicht. Das Thema Cloud kommt in unserer IT-Strategie vor – nämlich insofern, als dass wir generell sagen: Wir fürchten uns nicht vor der Cloud und geben On-Premise-Varianten nicht automatisch den Vorzug. Wir suchen heute nach der besten Lösung, die im Wesentlichen durch die beste Variante einer Prozessabbildung bestimmt wird. Und wenn die Cloud als die bessere Lösung erscheint, dann wird sie auch als erste Lösung untersucht. Allerdings: Wir springen nicht mit allem und jedem in die Cloud, und wir schauen uns sowohl den Anbieter von Cloud Services als auch die konkrete Lösung sehr genau an. Wesentlich ist dabei nicht zuletzt die Frage der Inhalte und folglich auch der Sicherheit.
 
Woran denken Sie beim Thema Sicherheit konkret?
Bei Daten, die als streng vertraulich klassifizierbar sind, muss man naturgemäß extrem vorsichtig sein. Doch gerade hier hat sich gezeigt, dass die Cloud die richtige Wahl für viele Kommunikationsprozesse sein kann. So nutzen wir sie erstens für die Speicherung und Übermittlung von vertraulichen Dokumentationen der Entscheidungsabläufe im Vorstand bzw. im Executive Board im Konzern, zweitens für die heikle Kommunikation hin zum Aufsichtsrat sowie zwischen diesem und seinen Gremien wie z. B. dem Prüfungsausschuss. Und drittens kommt eine Cloud-Lösung für den hochsensiblen Informationsaustausch zwischen uns und unseren Engineering- und Entwicklungspartnern (z. B. chemischen Labors und Universitäten) zum Einsatz. Hier ist für uns auch das Thema Faserentwicklungen sowie Neuerfindungen und die damit verbundene exakte zeitliche und inhaltliche Dokumentation hinsichtlich Rechtschutz und Urheberrecht absolut relevant.
 
Wie stellen Sie sicher, dass die einzelnen Fachabteilungen wissen, in welcher Form Cloud Computing möglich bzw. untersagt ist?
Auch bei dieser Fragestellung stehen die Funktionalität, die Integrierbarkeit und der Unternehmensnutzen im Vordergrund. Es gibt kein dediziertes Regelwerk zur Cloud-Nutzung, sondern ein stetig wachsendes Verständnis über die Klassifizierung von Informationen und die Notwendigkeit des Informationsschutzes. So gesehen ist der Prüfprozess bei uns immer sehr individualisiert, und der Use Case muss passen.
 
Wie bekommen Sie angesichts der generellen Entwicklung zum Multi-Provider Management das richtige Mitarbeiter-Know-how zu Cloud-Lösungen ins Unternehmen?
Wichtig sind Personen, die ein gesundes Verständnis für Datensicherheit haben, im privaten Leben Cloud Services nutzen und ein Bewusstsein darüber haben, dass es Informationsquellen gibt, die in unserem Business niemals in einer Cloud gespeichert werden dürfen. Im Grunde genommen haben wir es recht pragmatisch gelöst, in Form eines „Prüfzirkels“: Wir haben einen Kollegen, der die Infrastruktur und die Datensicherheit verantwortet und der auch die entsprechende Ausbildung dafür hat, sowie einen spezialisierten Rechtsanwalt, der die juristischen Kriterien prüft. Daneben gibt es einen Einkäufer, der für die inhaltlichen Voraussetzungen zuständig ist und Erfahrung mit Zukauf von Dienstleistungen hat, und nicht zuletzt mich als CIO für die technische Bewertung. Das heißt, dieses Quartett prüft jeweils die Funktionalität der Cloud-Lösung sowie die Compliance und ergänzt so das Wissen, das wir ohnehin im Haus haben, mit rechtlichem, inhaltlichem und technischem Know-how. Nicht zu vernachlässigen in diesem Zusammenhang ist auch der Austausch in Netzwerken mit anderen CIOs, deren Erfahrungen extrem wertvoll sind, um hier noch mehr Sicherheit bei gewissen Entscheidungen und Prozessen zu gewinnen. In einem nächsten Schritt planen wir, Qualitätsstandards von StarAudit in unsere Auswahlprozesse für Cloud Services einzubinden.